2. Probleme und Herausforderungen
Damit sich Hoffnungen auf eine integrative Verwendung von digitalen Mobilitätsdaten überhaupt erfüllen können, müssen sie verfügbar und bezahlbar sein. Es besteht die Gefahr, dass kommerzielle Interessen einer allgemeinen Verfügbarkeit entgegenstehen. Der Grundsatz des Open Access von Mobilitätsdaten ist daher wesentlich, wird bisher allerdings erst ansatzweise realisiert. Der vom Bundesverkehrsministerium initiierte Mobilitätsdatenmarktplatz soll eine neutrale Plattform von Mobilitätsdatenanbietern sein. Alle Unternehmen, die im Rahmen des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) Mobilitätsangebote unterbreiten, sind verpflichtet, statische und dynamische Daten im Linien- und Gelegenheitsverkehr und auch die Zugangsstellen betreffend zur Verfügung zu stellen. Andere, wie die digitalen Plattformkonzerne, müssen das bisher jedoch nicht, sie können ihre Datenschätze exklusiv nutzen oder eben lukrativ vermarkten.
Die Daten zum Mobilitätsverhalten in den Befragungen „Mobilität in Deutschland“ (MiD), „System repräsentativer Verkehrserhebung“ (SrV) und dem „Deutschen Mobilitätspanel“ (MOP) sind in Zeitreihen dokumentiert. Diese zeigen Veränderungen und Konstanten über lange Zeiträume. Darin wird ein erheblicher Mehrwert gesehen. Kurzfristige und disruptive Änderungen im Verkehrsverhalten lassen sich allerdings so nicht erfassen. Veränderungen im Verkehrsverhalten, auch unter radikal veränderten Rahmenbedingungen, werden bisher lediglich in Simulationsmodellen betrachtet. Diese beruhen jedoch auf gesetzten Annahmen und können die Komplexität sozialer Prozesse nur unzureichend abbilden. Sie tun sich zudem schwer, den Routinecharakter von Verkehrshandeln zu berücksichtigen. Im Übrigen können Simulationen immer nur so gut sein wie die eingespeisten Daten. Sozialwissenschaftliche empirische Verkehrserhebungen unter Realbedingungen – sowohl in standardisierten Befragungen als auch in qualitativen Interviews – sind daher unverzichtbar, um Mobilitätsmuster und ihre (potenziellen) Änderungen erfassen zu können. Zukünftig kann eine verbesserte Datengrundlage mithilfe neuer digitaler Erhebungsmethoden erreicht werden.
Die Herausforderung der auf das Mobilitätsverhalten bezogenen Datenerhebungen besteht darin, ein methodisch breites Untersuchungsdesign einzusetzen. Dies zeigt sich in jüngster Zeit beispielhaft in Untersuchungen der Veränderungen von Mobilität unter Bedingungen der Corona-Pandemie (z. B. Mobicor). Es war und ist die Frage zu beantworten, welche und wie viel Mobilität unverzichtbar ist, um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Funktionsfähigkeit sicherzustellen. Offen ist, welche neuen Routinen sich unter den Restriktionen der Pandemie entwickeln und ob diese auch unter erneut veränderten Bedingungen Bestand haben (siehe auch Rasche et al. 2021). Zu untersuchen ist ferner, wie flexibel Menschen in unterschiedlichen Situationen mit verschiedenen Handlungsspielräumen sind und wer diese überhaupt nutzen kann. Als vielversprechend erscheint eine Kombination von quantitativen Daten zu Mobilität und Verkehr und mit qualitativen Befragungen eines aus verschiedenen Personengruppen zusammengesetzten Panels.
Alle Erhebungen von Verkehrsverhalten und Bewegungsdaten müssen die Anforderungen der Datensicherheit und des Datenschutzes sorgsam erfüllen. Hier ist generell eine hohe Sensibilität zu erwarten. Bewegungsdaten sind wichtig, um attraktive Mobilitätsangebote machen zu können, sie erfordern den Schutz der Privatsphäre. Wie dieser mit Anonymisierungsverfahren gewährleistet werden kann, wird in dem vom BMBF geförderten Forschungsprojekt FreeMove untersucht und erprobt. Das stellt auch die Kommunen vor große Herausforderungen, da sie nicht nur den gesetzlichen Datenschutz gewährleisten müssen, sondern überhaupt einen verantwortungsvollen Umgang mit den erhobenen oder erworbenen Verkehrsdaten dokumentieren müssen. Dies ist nicht zuletzt deshalb relevant, um die Akzeptanz bei den Nutzerinnen und Nutzern von Mobilitätsangeboten zu sichern.
Generell spricht viel für ein landesweites „Mobilitätspanel“, das die Mobilitätsroutinen, Bedürfnisse und Einstellungen der Bevölkerung in den Blick nimmt. Zentral für diese Befragung nach den subjektiven Einschätzungen ist die Differenzierung der Befragten nach soziodemografischen sowie räumlichen Kriterien sowie nach ihren professionellen Positionen. So kann es gelingen, die Vielfalt der Lebenssituationen und die damit verbundenen unterschiedlichen Freiheitsgrade in der Organisation von Alltagsmobilität bzw. umgekehrt faktische Mobilitätszwänge zu erfassen.